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Powerspiral Training - Making Of
"Ihr Dünndarm ist länger als Sie denken." Diese elementare Erkenntnis bildet den Ursprung unseres jüngsten medizinischen Animationsprojektes. Mit seinen drei bis fünf Metern stellt der Dünndarm nicht nur den längsten Teil des menschlichen Verdaungstraktes dar, sondern auch den elegantesten Weg aus einem Hotelzimmer im vierten Stock zu entkommen.
Damit war der Dünndarm lange Zeit die große Herausforderung, vor der jedes Endoskop stand, nachdem es zuvor den Weg durch Speiseröhre, Magen und Zwölffingerdarm gemeistert hatte. Ein “dunkler Kontinent” des Verdauungstraktes, der von außen aussieht wie ein Teller Spaghetti. Von innen dagegen sah man ihn bislang nur schwer und unvollständig. Denn die Länge von Endoskopen ist begrenzt, die des Dünndarms gefühlt jedoch nicht. Was also tun?

Was medizinische Animationen für uns so spannend macht: Aus nächster Nähe die Lösungen zu beobachten, die sich Ingenieure für dieses Problem haben einfallen lassen. Das brandneue PowerSpiral Endoskop von Olympus besitzt ein rotierendes Spiralsegment, mit dem es den Dünndarm aufwickelt und zusammenfaltet - so wird aus einem unübersichtlichen Teller Spaghetti ein ungleich kürzeres, einzelnes “Spaghett”, das selbst ein Vierjähriger mit wenigen Anläufen essen könnte.
Ärzte wiederum können den mit dieser Technik deutlich verkürzten Dünndarm nicht nur tiefer untersuchen, sondern das Endoskop auch einfacher und exakter darin positionieren: Vorwärtsdrehung der Spirale wickelt ihn auf und zieht das Endoskop vorwärts, Rückwärtsbewegung bewirkt das Gegenteil. Als würden der Berg und der Prophet ihren uralten Streit beilegen und endlich beide einen Schritt aufeinander zu machen.
Wie jedes derart neue Gerät, muss auch das PowerSpiral zuvor erlernt werden - und hier bat uns Olympus, eine Reihe von Education Videos für Ärzte zu entwickeln, um Grundprinzip und verschiedene Techniken anschaulich zu erklären. Während inhaltliche Richtigkeit und Klarheit dabei an erster Stelle standen, durften diese Videos optisch natürlich nicht hinter den kurzen, dramatischeren Produkttrailern zurückstehen, wie wir sie in der Vergangenheit für Olympus produziert hatten. Diese Education Videos stellten uns mit ihrer 1) inhaltlichen Komplexität, 2) umfangreichen Anatomie-Deformation und 3) für 3D Produktionen großen Länge vor interessante Herausforderungen.

Challenge #1
Wir zeigen ein brandneues Prinzip vor seiner Markteinführung und aus einer Perspektive, aus der es niemand filmen kann - und jede Information muss sitzen.
Mit unserer Erfahrung in medizinischer Animation sind wir schwieriges Referenzmaterial gewohnt: Während andere 3D Artists ihr eigenes Spiegebild in einer Autokarosserie studieren, studieren wir gerade die unverblümten Video-Highlights einer Schilddrüsen-OP. Um ein im Körper agierendes Endoskop bei jedem Manöver korrekt in unserer halb-transparenten Außenansicht der Anatomie zu platzieren, war die Information aus dessen eigener Kamera jedoch nicht ausreichend. Fluoroskopische Bilder dienten als wertvolle Ergänzung, zeigten hier jedoch eher das Endoskop als die Organe, und auch dieses natürlich nur statisch.
Von entscheidender Bedeutung war daher die enge Absprache mit spezialisierten Ärzten. Bei der gemeinsam Entwicklung des Scriptes achteten wir speziell darauf, ihren fachlichen Input zu ordnen und an das Storytelling eines medizinischen Animationsfilms anzupassen: “Wo im Körper kann das Endoskop auf welche Probleme stoßen und was ist die erste Lösung? Wenn dies nicht funktioniert, was ist die zweite? Sollten wir beide Techniken vorher schon einmal getrennt etablieren?” etc.

Um bei der späteren Darstellung dieser Manöver auf festen Füßen zu stehen, legten wir deren Grundzüge früh anhand von Einzelbildern fest, ähnlich den sogenannten “Key Poses” aus der Charakteranimation, über die wir uns gemeinsam verständigten. Anschließend setzten wir diese Positionen im 3D Raum um, und ergänzten sie nach Abnahme um immer mehr Zwischenschritte, ehe sie schließlich zu einer fließenden Animatic wurden.
Challenge #2
Das SpiralScope ist sehr biegsam, ebenso wie ein Großteil der inneren Anatomie, die in vielen der Szenen nicht bloß ausgebeult oder gestreckt (wie z.B. beim Dickdarm), sondern im Falle des Dünndarms komplett neu angeordnet wird.
Die typische 3D Software mag nur wenige Dinge so sehr wie statische Objekte. Wenn sie könnte, würde sie den ganzen Tag über Kugeln mit gleichbleibender Geschwindigkeit von links nach rechts bewegen, die von Bild zu Bild exakt ihre Form halten. Nebenan in der handgezeichneten 2D Animation ist diese Beständigkeit harte Arbeit - im 3D Raum dagegen kommt sie bereits integriert, und wir arbeiten vielmehr, um sie aufzubrechen. Je größer der Unterschied zur ursprünglichen Geometrie, desto komplexer die dazu notwendigen Methoden.

In der R&D-Phase prüften wir also, wo Simulation und Automatisierung (klassische Stärken der Computergrafik) uns bei der Animation helfen konnten: Bereiten wir z.B. unsere Gewebewände so vor, dass sie sich bei Berührung automatisch ausdehnen? Konstruieren wir den Dünndarm wie ein physikalisch berechnetes Seil, das sich ziehen und aufrollen lässt? Dabei kamen wir zu dem Schluss, dass diese Techniken zwar interessante - und stets unterhaltsame - Ergebnisse lieferten, jedoch nicht das Maß an Kontrolle erlaubten, das wir uns für die Interaktion von Endoskop und Anatomie vorstellten.
Recht schnell entschieden wir uns daher, auf Techniken der Charakter-Animation zurückzugreifen und die einzelnen Organe mit den gleichen zugrunde liegenden Mechaniken auszurüsten wie vollwertige Charaktere: Unser Dickdarm ist praktisch ein dehnbarer Arm mit 15 Ellenbögen. (Versuchen Sie gerne, dieses Bild vor dem Schlafengehen aus dem Kopf zu kriegen - es wird Sie danach trotzdem verfolgen.)
Im Falle des ungleich längeren Dünndarms entschieden wir uns für 55 dieser Gelenke - ein Kompromiss, um einerseits seine engen Kurven und Verwinkelungen abbilden zu können, gleichzeitig aber die Zahl der zu animierenden Anfasserpunkte im machbaren Rahmen zu halten. Der entscheidende Trick dabei ist, dass diese Anfasser nacheinander auf das Endoskop gezogen werden - und von dort an bewegen sie sich automatisch mit, wenn wir selbiges animieren.
Dieses Hybrid-Setup, bei dem die freie Dünndarm-Geometrie eine Szene als eigenständiger “Charakter” beginnt, sich beim Aufwickeln aber Stück für Stück dem Scope unterordnet, gab uns detaillierte Kontrolle dort, wo wir sie brauchten - und nahm uns Arbeit ab, wo wir sie nicht brauchten.

Challenge #3
Den Kern der SpiralScope Education Videos bilden 17 Minuten pure 3D-Animation, Satz für Satz zu Voiceover getimed, die den aufwändig gerenderten Look der kürzeren Vorgänger matchen oder übertreffen sollten.
Der Schlüssel dazu, den Aufwand elegant zu bewältigen und nicht zu sturer Fleißarbeit verkommen zu lassen, war, das Drehbuch auf alles zu untersuchen, das sich a) gruppiert bearbeiten oder b) einmal animieren und dann variieren lässt.
Bereits in der Pre-Production teilten wir alle Szenen klar nach ihren Schauplätzen auf (Esophagus, Magen, Dünndarm, Dickdarm, abstrakter Raum). Diese “Sets” wurden einmalig in 3D angelegt und mit allen später benötigten Funktionen ausgerüstet. Eine Masse an Reglern und Anfassern verlängert zwar die Setup-Phase, hat aber den großen Vorteil, dass der Animator später im Workflow nicht mehr in die Tiefen des Rigs eindringen muss, um z.B. die Falten des komprimierten Dünndarms zu verstärken - denn es gibt bereits einen Regler dafür.
Und dieser Regler existiert in allen Szenen. Denn jede von ihnen greift dynamisch auf eine der Set-Dateien zurück und nutzt dabei stets die neueste Version. Wenn wir das Magen-Rig verbessern oder mit einem neuen Rendermaterial versehen, steht dies automatisch allen Magen-Szenen zur Verfügung. Falls sich das Endoskop-Modell während der monatelangen Produktion in seinen Details verändert, unternehmen wir diese Anpassung direkt in seiner zentralen Datei, und müssen es nicht in zwanzig Szenen neu animieren. Das ist nicht nur praktisch, sondern auch sicher.
Der letzte Teil dieses Problems ist ein trockener, technischer: 22.000 Einzelbilder rendern nicht über Nacht, und selbst danach verlangt das bloße Verfügbarmachen und Bearbeiten von Dateien noch eine verdammt leistungsfähige Infrastruktur, sowie eine Besessenheit für langfristige Planung. Und die haben wir.
Done.
Am Ende eines erfolgreich abgeschlossenen, lehrreichen und herausfordernden Projektes bleibt natürlich diese eine große Frage: Wenn es hart auf hart kommt, in einer Extremsituation, könnte unser 3D Produktionsteam nun eine endoskopische Dünndarmbiopsie durchführen?
Die offizielle Antwort ist nein. Inoffiziell kommt ja vieles einfach aus dem Handgelenk und das Interesse wäre auf jeden Fall da. Aber aus rechtlichen und kreativen Gründen investieren wir dieses theoretische Wissen dann doch lieber ins nächste Animationsprojekt.